Sieben Frauen und ein unpopuläres Gefühl
Wut ist eine wichtige, zu Unrecht stigmatisierte Emotion, die Frauen nicht unterdrücken, sondern als kraftvolle Annäherungsemotion verstehen sollten, die Klarheit schafft, Kreativität fördert und das Potenzial hat, Ungerechtigkeit zu verändern. Das ist das Ergebnis eines Workshops zum Weltfrauentag in Landsberg. Eine Teilnehmerin berichtet.
Rrratsch – krachend zerreißen sieben Frauen ein Stück Stoff, erst einzeln jede für sich, dann alle zusammen auf Kommando. „Wir, je drei Frauen aus zwei Generationen, hätten auch Teller zerschlagen oder Gläser zertrümmern können – Stoff zerreißen ist genauso befriedigend, hat aber den Vorteil, dass man hinterher nicht saubermachen muss,“ erklärt Familientherapeutin Christa Schmid und grinst. Sie leitet den Workshop „Wut tut gut“, der im Rahmen des diesjährigen Landsberger Frauen-Festivals zum Weltfrauentag stattfindet, und möchte die Teilnehmerinnen mit einem Gefühl in Kontakt bringen, das sich Frauen oft nicht erlauben: Wut. Denn weibliche Wut hat einen schlechten Ruf.
Studien zeigen, dass schon Kinder im Vorschulalter Wut mit männlichen Gesichtern in Verbindung bringen und bei Jungen hinnehmbar, bei Mädchen jedoch inakzeptabel finden. Wie die Autorin Soraya Chemaly schreibt, lernen Mädchen noch vor dem Kindergarten, dass wütende Frauen hässlich und unsympathisch aussehen und dass Mädchen und Frauen besser nicht zornig wirken.
Dabei ist Wut eine rationale und emotionale Reaktion auf Grenzüberschreitung, Missachtung und Ungerechtigkeit. Während Traurigkeit bei Expert:innen als „Rückzugsemotion“ gilt, ist Wut eine „Annäherungsemotion“, sie verleiht Klarheit, Kreativität und die Kraft, Dinge zu verändern. Gerechter Zorn wäre also nicht nur eine angemessene, sondern auch eine nützliche Reaktion auf die nach wie vor bestehende strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen fast überall auf der Welt.
Doch Frauen riskieren viel, wenn sie ihre Wut zeigen – schnell wird eine wütende Frau mit Hysterie und Wahnsinn in Verbindung gebracht, gilt als unberechenbare Furie und wird nicht mehr ernst genommen. So kommt es, dass weibliche Wut von klein auf systematisch unterdrückt wird und viele erwachsene Frauen gar nicht mehr spüren, wenn sie wütend sind.
In diesem Frauenworkshop soll sich das ändern. „Wir sind in der Volkshochschule Landsberg, der Raum hat den Charme einer fünfziger Jahre Turnhalle, es riecht nach Gummibällen und Linoleum und auf einmal dürfen, ja sollen wir sogar wütend sein. Wir sollen mit den Füßen aufstampfen, erst rechts, dann links, sollen mit unseren Armen einen imaginären Schutzkreis ziehen, Raum einnehmen für uns und unsere Wut. Es fühlt sich zuerst fremd und künstlich an, was seltsam ist, denn das eigentlich Nicht-Authentische besteht ja darin, die Wut so lange geleugnet zu haben. Doch nach und nach werden wir übermütiger, freier und – erstaunlicherweise – fröhlicher.“
Dass unterdrückte Wut auf die Dauer krankmachen kann, ist bekannt. Schlafstörungen, Migräne, Depressionen und Auto-Immunerkrankungen werden von Psycholog:innen mit unterdrückter Wut in Verbindung gebracht. Aber auch eine demokratische Gesellschaft riskiert zu erkranken, wenn sie einer Hälfte ihrer Bevölkerung ein Gefühl madig macht, das sich gegen Ungerechtigkeit wendet. Frauen hätten also viele gute Gründe, der „Annäherungsemotion“ Wut einen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Das darf kein Freibrief für
ungezügelte Aggression oder Feindseligkeit sein, aber, und das gibt uns Christa Schmid am Ende unseres Workshops mit auf den Weg, „Wut kann unsere Verbündete sein.“ Und Verbündete, da sind wir uns einig, können wir auf dem Weg in eine gerechtere Gesellschaft gut gebrauchen.