Wir befinden uns im Jahr 2022 n. Chr. Ganz Deutschland ist von der Energiekrise paralysiert. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Fuchstalern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Ignoranz Widerstand zu leisten. Wie früher Asterix und Obelix für die Freiheit ihres Dorfes, kämpfen heute Erwin Karg und Gerhard Schmid für die energetische Unabhängigkeit ihrer Gemeinde. In Sachen Klimaschutz und erneuerbare Energien sind sie mittlerweile bayernweit bekannt.
Lange haben sie ihn belächelt. Der spinnt, haben sie gesagt. Ach, der Karg wieder. Aber auch: a Hund issa scho, und vor allem: einer, der sagt, was er denkt. Aber jetzt, mit dem Krieg in der Ukraine und den gestiegenen Strom- und Gaspreisen, da sind alle ganz neidisch auf das Fuchstal. Da ist es plötzlich eine bayerische, nein deutschlandweite Vorzeigeregion. Das Fuchstal hat die Energiewende bereits geschafft, während alle anderen noch nachdenken, wie und was denn zu tun sei.
Die Schule wird mit Wärme aus der nahen Biogasanlage geheizt. Vier Windräder sind seit 2015 in Betrieb, drei weitere sind genehmigt und werden gebaut. Insgesamt werden im Fuchstal rund 60 bis 65 Millionen Kilowattstunden Strom durch erneuerbare Energien erzeugt. Die Gemeinde selbst benötigt nur 25 bis 30 Millionen. Der Rest wird ins Netz eingespeist.
Nicht nur ökologisch, auch wirtschaftlich hat die Gemeinde Fuchstal mit ihrem hartnäckigen Bürgermeister alles richtig gemacht: Die rund 115 Bürgerinnen und Bürger, die sich an den Windrädern finanziell beteiligten, haben ordentlich Gewinn eingefahren. Und weil Karg sich von Anfang an gegen Investoren entschied und alles selbst in die Hand nahm, „bleibt das Geld im Dorf“.
Karg hat gegen viele, viele Windmühlen gekämpft. Der 58-jährige hat ein dickes Fell, ein großes Selbstbewusstsein, eine noch größere Klappe (sagt er selbst), unendlich viel Herzblut für die Gemeinde, dazu so unermüdliche Mitstreiter wie Gerhard Schmid aus der Fuchstaler Verwaltung (der wiederum selbst Bürgermeister in Apfeldorf ist).
Wir haben die beiden zum Gespräch getroffen. Da beide Männer wie mit einer Zunge sprechen, können die folgenden Zitate im Grunde beiden zugeordnet werden. Oft beginnt der eine den Satz und der andere beendet ihn.
Wie alles angefangen hat
„Ich bin kein Grüner, ich fahre lieber Motorrad als Fahrrad. Und wenn der Seehofer damals nicht gesagt hätte, wir brauchen 1.500 Windräder in Bayern und die ersten Investoren nicht auf uns zugekommen wären, dann hätten wir wahrscheinlich nicht angefangen. Als der Seehofer dann später plötzlich von der Verschandelung unserer oberbayerischen Landschaft gesprochen hat, da waren wir schon auf halbem Weg. Da kam der Trotz hinzu. Wir Fuchstaler sind einfach stolz und hängen unser Fähnlein nicht in den Wind, wir haben aus voller Überzeugung weiter gemacht. Die Investoren haben wir auch gleich raus gelassen und zum Wohl der Gemeinde alles selbst gemacht.“
Empfehlungen an andere Gemeinden
„Man braucht auch ein bisschen Glück. Bei uns ziehen der Bürgermeister und der Geschäftsstellenleiter an einem Strang und auch der Gemeinderat hat sich – zumindest von 2008 bis 2020 – für erneuerbare Energien stark gemacht. Wer kein Risiko eingehen will, für den ist das nichts. Das muss man mit einer Mischung aus Sturheit und Herzblut machen und nicht als Trittbettfahrer, weil gerade Energiekrise ist. Fukushima war auch nach einem halben Jahr wieder vergessen, zumindest was die persönliche Bereitschaft zum Umdenken angeht.
Insgesamt ist das schon extrem viel Aufwand. Und ehrlich: Wir haben so oft geschwitzt, ob alles gut geht. PV-Anlagen, das ist Pipifax. Aber Windkrafträder beantragen? Da bekommt man in Bayern fast eher ein Atomkraftwerk genehmigt. Zurzeit braucht es von der ersten Planung bis zur Einweihung geschlagene sechs Jahre. Und noch was: wir wären nicht da, wo wir sind, wenn wir nicht ein Planungsbüro hätten, das wahnsinnig kompetent ist und gleichzeitig genauso von den erneuerbaren Energien überzeugt ist, wie wir. Also: gute Berater braucht es auch.“
Wer einsteckt, muss auch austeilen dürfen – über Kritik
„Da musst du schon was aushalten können. Ich habe extrem viel Prügel eingesteckt. Es gab Zeiten, da habe ich morgens vorm Spiegel gestanden“ – Karg steht auf, dreht sich um, stellt sich vor den Konferenzbildschirm und redet mit dem Rücken zu uns weiter – „und habe mich gefragt: Bist du wirklich so ein schlimmer Kerl, wie die Leute sagen? Nö, habe ich dann zu mir gesagt. Ich habe ein loses Mundwerk und provoziere gerne und wenn mir einer auf den Sack geht, dann schlachte ich ihn schonmal. Aber eigentlich bin ein umgänglicher Mensch, solange es gerecht und fair zu geht. Ich kenne viele
Bürgermeister im Landkreis, die haben echt keinen Spaß an ihrem Job. Meiner Meinung nach müssten die nur mal mit der Streitaxt auf den Tisch hauen. Also für den diplomatischen Dienst bin ich nicht geeignet. Überhaupt nicht.“
Politikgelaber und andere Lippenbekenntnisse
„Von der CSU kommen nur Lippenbekenntnisse, die können Sie vergessen, die CSU ist scheinheilig. Das Landratsamt, also das Amt für Immissionsschutz und das Bauamt haben uns immer hervorragend unterstützt. Der Landrat ist wirklich ein Pfundskerl. Rhetorisch wahnsinnig gut, wenn der jetzt hier mit am Tisch sitzen würde, würden Sie denken, der hätte die Windkrafträder alleine gebaut. Aber letztendlich macht der nicht viel. Wir bräuchten mehr Druck auf die Politik, auf das bayerische Wirtschaftsministerium und das Umweltministerium. Was wir alles haben einreichen müssen, das macht doch so schnell keine normale Gemeinde! Trotzdem: Wenn man in der Position ist, so etwas umzusetzen und so viel Gutes für die Gemeinde zu tun, das macht schon Spaß.“
Weiterdenken, weitermachen
„Was die Windkraft angeht, ist unser Potential in Fuchstal ausgeschöpft. Wir könnten viel mehr mit PV-Anlagen machen, da sind wir auf dem Land doch in einer glücklichen Lage. Jeder könnte den Strom, den er braucht zu einem großen Teil selbst produzieren. Aber da gibt es so viel Widerstand bei der Bevölkerung, das verstehe ich nicht. Auch könnte man von Firmenseite aus die Produktionsprozesse an das Wetter anpassen. Energie müsste mit einer Wertigkeitsauflage verbunden sein. Da ist vieles möglich und nur eine Frage des Willens und der Flexibilität, auch im Kopf. Oder die Autos: Tagsüber hängen die am Strom, der vom eigenen Dach kommt. Wäre doch super, wenn man den abends wieder einspeisen und so zur Netzstabilität beitragen würde. Der erste Schritt ist immer der schwierigste.“
Was hat ihn am meisten geärgert?
„Die letzte Wahl!“ – Karg ist jetzt ganz ruhig, fast schon melancholisch – „Da gab es einen Gegenkandidaten, der noch nie auch nur das kleinste bisschen für die Gemeinde getan hat. Der hat 37 Prozent der Stimmen bekommen! Da habe ich schon den Glauben an die Ehre verloren. Es macht mich traurig, wenn man das persönliche Interesse über das kommunale stellt. Aber alles Negative hat immer auch eine gute Seite, ich kann jetzt demnächst bei den Olympischen Spielen mitmachen. Beim Hürdenlauf. Schau mal der kleine Dicke, würden die dann sagen, unterschätzt den nicht, der hat schon viele Hürden genommen, der springt sogar über Autos. Aber ehrlich, ich würde alles wieder genauso machen.“
Die nächsten Projekte
„Wir denken gerade drüber nach, Tinyhäuser mit in den Bebauungsplan aufzunehmen. Das ist das nächste große Ding, wenn die Leute sich keine Einfamilienhäuser mehr leisten können oder wollen.“
Die Bürgerwindkraft Fuchstal GmbH & Co. KG betreibt seit September 2016 vier Windenergieanlagen. Die Anlagenstandorte liegen fünf Kilometer südlich von Leeder im Süden des Gemeindegebiets Fuchstal. Sie befinden sich innerhalb des ausgedehnten Waldgebietes des Denklinger Rotwalds, dem sogenannten Kingholz. Im Sachsenrieder Forst werden derzeit drei weitere Windkrafträder gebaut.
Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Gemeinde Fuchstal