Ihr Markenzeichen: tanzende Holzspäne und roter Lippenstift.Ihre Skulpturen: Seejungfrauen aus Ammerseeholz. Jede einzelne ein Charakterwesen.Wie Brigitte Gattinger aus Riederau den künstlerischen Umgang mit der Kettensäge vermittelt. Ein Tag in ihrer Werkstatt in Obermühlhausen.
I Ihr Werk
„Ammerella oder wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr. “
Mit Nachnamen heißen sie alle Ammerella. Der Vorname dagegen ist einzigartig, so wie ihr Charakter. Hier die kleine Verspielte, die ist noch ziemlich jung, so drei, vier vielleicht. Da die Kernige, Kräftige mit den – für eine Seejungfrau – ungewöhnlich kurzen Haaren. Dort die Wilde mit dem verwuschelten Schopf. Oder die Zarte, Madonnenhafte. Und siehe da: ein erster Wassermann, golden, schlank und Unabhängigkeit ausstrahlend.
15, 20, 30 Stunden braucht eine Ammerella. Manchmal ein ganzes Jahr. Manche altern und reifen mit der Zeit, andere verändern sich durch neue Schnitte, ein wenig Farbe, alles intuitiv. „Ich experimentiere gerne, ich fühle, was sie brauchen“, sagt die Mutter der Ammerellas, die Holzbildhauerin Brigitte Gattinger.
Mütter von Töchtern erinnern sich bestimmt noch an den vor einigen Jahre grassierenden Meerjungfrauenhype der Jungmädchengeneration. „Mach doch mal eine Meerjungfrau“, bat damals auch die Tochter. „Blödsinn“, sagte die Mutter, „wenn, dann mache ich natürlich eine Seejungfrau.“ Voilà, die erste
Ammerella war geboren. Und damit sie tatsächlich ein waschechtes Mädel vom Ammersee wird, verarbeitet Gattinger nur das Holz der Bäume, die dort wachsen.
II Ihr Leben
„Wenn das Leben dir Zitronen gibt, kann ich unterschiedliche Säfte daraus machen.“
So fing alles an: Eine 80er-Jahre-Jugend am Niederrhein. Ausbildung und Drill in Sternehotels in Westfalen. Leitende Positionen in der gehobenen Erlebnisgastronomie im Ruhrgebiet. Dann der Schritt in ein geregeltes Leben: Vertrieb in der IT und Industrie. Als auch das langweilig wurde, folgten zwei neue Ausbildungen zur Fachkauffrau Marketing und zur Fachwirtin PR, denn: „Ich bin die Faktenfrau, immer gut für eine Headline.“
Seitdem: Freie PR-Beraterin.Und privat so? Einen passionierten Segler aus Landsberg am Lech kennen- und lieben gelernt. An den Ammersee gezogen (vor 25 Jahren), eine gemeinsame Tochter (19), ein gemeinsames Bootsprojekt, die „Sir Shackleton“, ein über 100 Jahre altes 2-Mast-Segelschiff, auf dem Seminare stattfinden.
III Inspiration
Der Aha!-Moment
Ein Freund lud vor 19 Jahren nach Grafrath zur Hauseinweihung. Im Wohnzimmer stand eine lebensgroße Holzskulptur. Ein abstrahierter Mensch, der kopfüber ins Wasser stürzt. Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt Brigitte Gattinger. Der kreative Geist, der bislang in ihr schlummerte, erwachte. Und wie.
Es folgten: Holzbildhauer-Abendkurse in FFB sowie die Entdeckung der Kettensäge – vorerst immer montags. Erste Ausstellungen mit der Gruppe, genannt die „Montags-Skulpturen“, erste Kaufanfragen, erste Erfolge. Das erste Werk wurde übrigens eine Galionsfigur, und „ja, ich weiß, ich habe ein Thema mit dem Wasser!“
IV Kettensägen
In drei Stunden zum eigenen Kunstwerk oder wie du lernst, mit der Maschine das Holz zu streicheln.
Such dir ein Holz aus, sagt sie, oder bring eines mit. Alles geht: Schwarzerle, Kirsche, Birne, Walnuss, Ahorn. Eiche ist am besten. Lass dich vom Holz verführen. Zeichne erst, was du erschaffen willst. Dann: eine kurze Einführung in die Stihl MSE 170 C. Beinschutz, Schuhkappen, Handschuhe, Kopfschutz.
EN GARDE. Wie eine Reiterin allein mit ihrer Haltung ein Pferd dirigieren kann, so beherrschst du mit deinem Körper die Säge. Und jetzt: gib Vollgas!
Sie sagt: Dieser Moment, wenn du das Stück Holz ansiehst, das du heute bearbeiten willst, ist der Moment, in dem deine Fantasie aus dir heraus auf das Holz übertragen wird. Du betrachtest es, in aller Ruhe, von allen Seiten, gehst drum herum, fasst es an und setzt dich davor hin. Und dann, wenn der Funke überspringt, wenn du das Stück spüren kannst, dann kannst du sehen, was sich in diesem Stück Holz verbirgt und heute ans Licht geholt werden will. Es ist ein herrlicher Moment. Und mit dem ersten Schnitt der Säge kannst du es vielleicht schon sehen, wie es vorsichtig aus dem Holz herauslugt: dein Stück.
Text: Silke-Katinka Feltes