Made in Dießen

Der Letzte seiner Art

Die Handwerkskunst der Wagnerei stirbt aus. Nur ein paar traditionelle Brauerei- und Festwägen brauchen noch handgefertigte oder liebevoll ­restaurierte Holzräder. Zu Besuch bei einem der letzten Wagnermeister Deutschlands. 

Alles beginnt mit einem Baum. Einem gut getrockneten Baum. Wolfgang Linke hat da so seine Quellen, sagt er. Für die Nabe nimmt er am liebsten die Rüster. Übrigens der einzige Baum, der beim Fällen seinen Namen ändert. Von der Ulme zur Rüster. Für die Speichen greift er auf Esche oder Buche zurück. Dann wird gedrechselt, gehobelt, Zapflöcher werden ausgestochen, Speichen geputzt und schließlich ein Stahlreifen auf das Rad gezogen.

In Dießen, Ortsteil Wengen, arbeitet einer der letzten Wagner­meister Deutschlands. Wer sich jetzt einen alten Mann in einer noch älteren Werkstatt vorstellt, liegt falsch. Wolfgang Linke, Jahrgang 1980, also 44 Jahre jung, besitzt eine helle Schreiner­werkstatt gleich hinter seinem Elternhaus. Draußen sieht man Zwerghühner, der jüngste Sohn kündigt uns an und der Rest der Familie kommt gerade vom Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Metzgerweiher.

Ein Wagner? Nie gehört? Kein Wunder, der Beruf ist ausgestorben. Es gibt noch wenige Schreiner­meister mit einer entsprechenden Spe­zia­li­sie­rung, aber eben nur noch einen einzigen wahr­haftigen Meister der Wagnerei: Wolfgang Linke.

Ein kurzer histo­rischer Rück­blick: Der Mechaniker des Mittel­alters, das war der Wagner. Sie bauten Fahr­zeuge für die Personen- und Güter­beförderung. Sie stellten ins­beson­dere Hand­wagen, Kutschen und An­hänger her. Wagner waren sowohl für das Gestell, ein­schließlich der Achsen, als auch für die Räder, Deichseln und Brücken ver­antwort­lich. Zudem bauten Wagner Sport­geräte wie Schlitten und land­wirtschaft­liche Holz­geräte beispiels­weise Leitern, Sensen, Eggen oder Dresch­flegel. Früher gab es daher in jedem Dorf einen Wagner. In den Hoch­zeiten wurde der Beruf gar in die Gewerke Rad-, Stell- und Kasten­macher unterteilt. Durch die zu­nehmende Motorisierung wurde das Berufs­bild Wagner schließlich vom Karosserie- und Fahrzeug­bauer abgelöst. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts war der Wagner praktisch ausgestorben. Da war Wolfgang Linke noch lange nicht geboren.

Er war ein 12- oder 13-jähriger Bub, es muss also Anfang der 90er Jahre gewesen sein, da saß der junge Wolfgang in des Großvaters Schreiner­werkstatt und wollte unbedingt wissen, wie man so ein Rad baut. So beschreibt Wolfgang Linke den Beginn seiner lebens­langen Fas­zi­na­tion für die Wagnerei. Er lernte in Weilheim das Schreiner­handwerk und strolchte in seiner Frei­zeit oft in der noch vorhandenen Wagnerei von Hans Häring in der Wengener Nach­bar­schaft herum. Nach der Schreiner­gesellen­prüfung wollte Linke noch eine weitere Gesellen­prüfung anhängen, doch die Prüfer von der IHK begutachteten seine Werke und befanden, er könne gleich mit dem Meister­titel als Wagner weitermachen. Das war im Jahr 2003, die Prüfungs­ordnung war das letzte Mal 1937 aktualisiert worden.

Etwa 30 Räder baut Wolfgang Linke pro Jahr. Gerade stehen neue Räder für einen Te­gern­seer Truhen­wagen, der einmal im Jahr auf dem Leonhardi­ritt gefahren wird, in seiner Werkstatt. Auch die Münchner Brauereien greifen regelmäßig auf seine Handwerks­kunst zurück. Bis zu 6.000 Kilometer hält so ein rund 120 Kilogramm schweres Holzrad, wohlgemerkt auf schlechten Wegen.

Altes Brauchtum lebendig halten, das beschäftigt Wolfgang Linke auch in seiner Freizeit. Als ehrenamtlicher Kirchenpfleger der Gemeinde Dießen, kümmert er sich um das Haushalts- und Rechnungswesen aller Dießener Kirchen.

 Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Bertl-Magazin
Made in Dießen

Der Letzte seiner Art

Die Handwerkskunst der Wagnerei stirbt aus. Nur ein paar traditionelle Brauerei- und Festwägen brauchen noch handgefertigte oder liebevoll ­restaurierte Holzräder. Zu Besuch bei einem der letzten Wagnermeister Deutschlands. 

Alles beginnt mit einem Baum. Einem gut getrockneten Baum. Wolfgang Linke hat da so seine Quellen, sagt er. Für die Nabe nimmt er am liebsten die Rüster. Übrigens der einzige Baum, der beim Fällen seinen Namen ändert. Von der Ulme zur Rüster. Für die Speichen greift er auf Esche oder Buche zurück. Dann wird gedrechselt, gehobelt, Zapflöcher werden ausgestochen, Speichen geputzt und schließlich ein Stahlreifen auf das Rad gezogen.

In Dießen, Ortsteil Wengen, arbeitet einer der letzten Wagner­meister Deutschlands. Wer sich jetzt einen alten Mann in einer noch älteren Werkstatt vorstellt, liegt falsch. Wolfgang Linke, Jahrgang 1980, also 44 Jahre jung, besitzt eine helle Schreiner­werkstatt gleich hinter seinem Elternhaus. Draußen sieht man Zwerghühner, der jüngste Sohn kündigt uns an und der Rest der Familie kommt gerade vom Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Metzgerweiher.

Ein Wagner? Nie gehört? Kein Wunder, der Beruf ist ausgestorben. Es gibt noch wenige Schreiner­meister mit einer entsprechenden Spe­zia­li­sie­rung, aber eben nur noch einen einzigen wahr­haftigen Meister der Wagnerei: Wolfgang Linke.

Ein kurzer histo­rischer Rück­blick: Der Mechaniker des Mittel­alters, das war der Wagner. Sie bauten Fahr­zeuge für die Personen- und Güter­beförderung. Sie stellten ins­beson­dere Hand­wagen, Kutschen und An­hänger her. Wagner waren sowohl für das Gestell, ein­schließlich der Achsen, als auch für die Räder, Deichseln und Brücken ver­antwort­lich. Zudem bauten Wagner Sport­geräte wie Schlitten und land­wirtschaft­liche Holz­geräte beispiels­weise Leitern, Sensen, Eggen oder Dresch­flegel. Früher gab es daher in jedem Dorf einen Wagner. In den Hoch­zeiten wurde der Beruf gar in die Gewerke Rad-, Stell- und Kasten­macher unterteilt. Durch die zu­nehmende Motorisierung wurde das Berufs­bild Wagner schließlich vom Karosserie- und Fahrzeug­bauer abgelöst. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts war der Wagner praktisch ausgestorben. Da war Wolfgang Linke noch lange nicht geboren.

Er war ein 12- oder 13-jähriger Bub, es muss also Anfang der 90er Jahre gewesen sein, da saß der junge Wolfgang in des Großvaters Schreiner­werkstatt und wollte unbedingt wissen, wie man so ein Rad baut. So beschreibt Wolfgang Linke den Beginn seiner lebens­langen Fas­zi­na­tion für die Wagnerei. Er lernte in Weilheim das Schreiner­handwerk und strolchte in seiner Frei­zeit oft in der noch vorhandenen Wagnerei von Hans Häring in der Wengener Nach­bar­schaft herum. Nach der Schreiner­gesellen­prüfung wollte Linke noch eine weitere Gesellen­prüfung anhängen, doch die Prüfer von der IHK begutachteten seine Werke und befanden, er könne gleich mit dem Meister­titel als Wagner weitermachen. Das war im Jahr 2003, die Prüfungs­ordnung war das letzte Mal 1937 aktualisiert worden.

Etwa 30 Räder baut Wolfgang Linke pro Jahr. Gerade stehen neue Räder für einen Te­gern­seer Truhen­wagen, der einmal im Jahr auf dem Leonhardi­ritt gefahren wird, in seiner Werkstatt. Auch die Münchner Brauereien greifen regelmäßig auf seine Handwerks­kunst zurück. Bis zu 6.000 Kilometer hält so ein rund 120 Kilogramm schweres Holzrad, wohlgemerkt auf schlechten Wegen.

Altes Brauchtum lebendig halten, das beschäftigt Wolfgang Linke auch in seiner Freizeit. Als ehrenamtlicher Kirchenpfleger der Gemeinde Dießen, kümmert er sich um das Haushalts- und Rechnungswesen aller Dießener Kirchen.

 Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Bertl-Magazin

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