Made in Erpfting

Büchermacher

Der unabhängige Balaena Verlag macht nicht nur schöne, sondern auch vielfach ausgezeichnete Bücher. Der Verlagsschwerpunkt liegt im Nachbarland Tschechien.
Doch auch lokale Kulturmenschen publizieren ihre Werke in Erpfting.

„Wir machen Bücher, die schwer einzuordnen sind.“ Heike Birke und Heinz Granvogel sitzen im Arbeitszimmer ihres Hauses in Erpfting. Auf dem Schreibtisch haben sie alle Werke, die sie bislang verlegt haben, liebevoll aufgereiht. Es sind achtzehn an der Zahl. Romane, eine Graphic Novel, Gedichtbände, Erzählungen, Bildbände. Die Genres umspannen satirische Lyrik, poetische Roadtrips genauso wie Gruselschichten für Kinder. Schwer einzuordnen eben.

2008 haben der promovierte Ökonom und die Sozialpädagogin (die beide lange als freie Trainer und Berater gearbeitet haben) den Balaena-Verlag gegründet und sich im Laufe der Jahre zunehmend auf tschechische Gegenwartsliteratur spezialisiert. Romane zum Beispiel, die in Tschechien Preise gewonnen haben, aber die nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Bücher, die tschechische Künstler hervorragend illustriert haben. Warum Tschechien? Dazu die Verleger: „Was so interessant an den Büchern der Nachbarn ist? Der andere Blick auf die gemeinsamen Fragen, der mal erstaunt, mal erheitert, gelegentlich verstört, nicht zuletzt befreit und uns auf jeden Fall in unserem Selbstverständnis als Mitteleuropäer verbindet.“

„Dieses Buch sollte Schullektüre werden“

Da wäre beispielsweise das Thema „Vertriebene“, „Sudentendeutsche“ und „Kriegsflüchtlinge“: Die tschechische Organisation „Post Bellum“ hat ein „memory of nations“ initiiert, die umfangreichste öffentlich zugängliche Online-Sammlung von Erinnerungen an die totalitäre Zeit des 20. Jahrhunderts. Unter anderem: Millionen Menschen, die ihre Heimat in Böhmen, Mähren, Schlesien oder im Sudentenland nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten und oft in Bayern wiederangesiedelt wurden. Fünf dieser leidvollen persönlichen Geschichten werden in der Graphic Novel
„Die vertriebenen Kinder“ erzählt. Ein tschechischer Schriftsteller hat die unzähligen Interviews in Geschichten umformuliert, fünf junge, tschechische Künstler:innen haben je eine Geschichte illustriert. Entstanden ist ein beeindruckendes, berührendes Zeugnis aus einer vergangenen Zeit, über Menschen, die heute alt sind und deren Erinnerung von der Vertreibung geprägt ist.
„Ein Buch, von dem ich mir wünschen würde, dass es in jeder Schule besprochen wird“, sagt Heike Birke. In Tschechien hat es den Jugendbuchpreis gewonnen, der Balaena-Verlag hat es übersetzen lassen und ins eigene Verlagsprogramm aufgenommen.

Bayerns beste Independent-Bücher

Ein weiteres literarisches Kleinod ist „Herr Niemand und die weiße Finsternis“, eine Art Gruselgeschichte für Kinder und Erwachsene, eine Geschichte über die Angst und wie man sie überwinden kann. „Kafka für Kinder“, so ordnet Birke ihren neuesten Verlagszugang ein. In Tschechien ist es in die Liste der besten Kinderbücher des Landes aufgenommen worden. In Deutschland hat das Buch gerade den Preis „Bayerns beste Independent Bücher 2024“ gewonnen. Eine schöne Ehre für einen kleinen Verlag, der in erster Linie aus Liebe zum besonderen Buch verlegt und für den Wirtschaftlichkeit zwar wünschenswert aber oft kaum realisierbar scheint.

Balaena kann nicht nur tschechisch, auch Lokalmatadoren wie das Mitglied des Landberger Autorenkreises Rudolf Anton Fichtl mit seinen satirischen Lyrikband „Das Kribbeln beim Bestatten dicker Dänen“ erscheint in dem umtriebigen Erpftinger Verlag.

Eine Country-Karriere startet in Landsberg

Das neueste lokale Highlight ist der von Martin und Stefan Paulus sowie Edith Raim herausgegebene Fotoband „Cash in Barbaria – Schnappschüsse aus Landsberg am Lech – 1953/54“: Um Cashs Zeit in Landsberg ranken sich zahlreiche Geschichten. Nach eigenen Aussagen kaufte Johnny Cash seine erste Gitarre während seiner Zeit bei der Air Force im Truppenstandort Penzing. Nur 25 Mark soll sie gekostet haben. In dieser Phase seines Lebens gründete Cash seine erste Band namens „Landsberg Barbarians“, eine Anspielung auf die damals in Landsberg verlegte Truppenzeitung „The Landsberg Bavarian“. Das Buch zeigt weniger Johnny Cash als vielmehr Alltagsszenen aus der Nachkriegszeit in einer ländlichen Kleinstadt. Die Herausgeber begleiten die Fotos mit historisch einordnenden Texten. Ein Buch nicht nur für Cash-Fans. Wie gesagt, Balaena: Alles, nur kein Mainstream.

www.balaena.de

Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Saskia Pavek
Made in Erpfting

Büchermacher

Der unabhängige Balaena Verlag macht nicht nur schöne, sondern auch vielfach ausgezeichnete Bücher. Der Verlagsschwerpunkt liegt im Nachbarland Tschechien.
Doch auch lokale Kulturmenschen publizieren ihre Werke in Erpfting.

„Wir machen Bücher, die schwer einzuordnen sind.“ Heike Birke und Heinz Granvogel sitzen im Arbeitszimmer ihres Hauses in Erpfting. Auf dem Schreibtisch haben sie alle Werke, die sie bislang verlegt haben, liebevoll aufgereiht. Es sind achtzehn an der Zahl. Romane, eine Graphic Novel, Gedichtbände, Erzählungen, Bildbände. Die Genres umspannen satirische Lyrik, poetische Roadtrips genauso wie Gruselschichten für Kinder. Schwer einzuordnen eben.

2008 haben der promovierte Ökonom und die Sozialpädagogin (die beide lange als freie Trainer und Berater gearbeitet haben) den Balaena-Verlag gegründet und sich im Laufe der Jahre zunehmend auf tschechische Gegenwartsliteratur spezialisiert. Romane zum Beispiel, die in Tschechien Preise gewonnen haben, aber die nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Bücher, die tschechische Künstler hervorragend illustriert haben. Warum Tschechien? Dazu die Verleger: „Was so interessant an den Büchern der Nachbarn ist? Der andere Blick auf die gemeinsamen Fragen, der mal erstaunt, mal erheitert, gelegentlich verstört, nicht zuletzt befreit und uns auf jeden Fall in unserem Selbstverständnis als Mitteleuropäer verbindet.“

„Dieses Buch sollte Schullektüre werden“

Da wäre beispielsweise das Thema „Vertriebene“, „Sudentendeutsche“ und „Kriegsflüchtlinge“: Die tschechische Organisation „Post Bellum“ hat ein „memory of nations“ initiiert, die umfangreichste öffentlich zugängliche Online-Sammlung von Erinnerungen an die totalitäre Zeit des 20. Jahrhunderts. Unter anderem: Millionen Menschen, die ihre Heimat in Böhmen, Mähren, Schlesien oder im Sudentenland nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten und oft in Bayern wiederangesiedelt wurden. Fünf dieser leidvollen persönlichen Geschichten werden in der Graphic Novel
„Die vertriebenen Kinder“ erzählt. Ein tschechischer Schriftsteller hat die unzähligen Interviews in Geschichten umformuliert, fünf junge, tschechische Künstler:innen haben je eine Geschichte illustriert. Entstanden ist ein beeindruckendes, berührendes Zeugnis aus einer vergangenen Zeit, über Menschen, die heute alt sind und deren Erinnerung von der Vertreibung geprägt ist.
„Ein Buch, von dem ich mir wünschen würde, dass es in jeder Schule besprochen wird“, sagt Heike Birke. In Tschechien hat es den Jugendbuchpreis gewonnen, der Balaena-Verlag hat es übersetzen lassen und ins eigene Verlagsprogramm aufgenommen.

Bayerns beste Independent-Bücher

Ein weiteres literarisches Kleinod ist „Herr Niemand und die weiße Finsternis“, eine Art Gruselgeschichte für Kinder und Erwachsene, eine Geschichte über die Angst und wie man sie überwinden kann. „Kafka für Kinder“, so ordnet Birke ihren neuesten Verlagszugang ein. In Tschechien ist es in die Liste der besten Kinderbücher des Landes aufgenommen worden. In Deutschland hat das Buch gerade den Preis „Bayerns beste Independent Bücher 2024“ gewonnen. Eine schöne Ehre für einen kleinen Verlag, der in erster Linie aus Liebe zum besonderen Buch verlegt und für den Wirtschaftlichkeit zwar wünschenswert aber oft kaum realisierbar scheint.

Balaena kann nicht nur tschechisch, auch Lokalmatadoren wie das Mitglied des Landberger Autorenkreises Rudolf Anton Fichtl mit seinen satirischen Lyrikband „Das Kribbeln beim Bestatten dicker Dänen“ erscheint in dem umtriebigen Erpftinger Verlag.

Eine Country-Karriere startet in Landsberg

Das neueste lokale Highlight ist der von Martin und Stefan Paulus sowie Edith Raim herausgegebene Fotoband „Cash in Barbaria – Schnappschüsse aus Landsberg am Lech – 1953/54“: Um Cashs Zeit in Landsberg ranken sich zahlreiche Geschichten. Nach eigenen Aussagen kaufte Johnny Cash seine erste Gitarre während seiner Zeit bei der Air Force im Truppenstandort Penzing. Nur 25 Mark soll sie gekostet haben. In dieser Phase seines Lebens gründete Cash seine erste Band namens „Landsberg Barbarians“, eine Anspielung auf die damals in Landsberg verlegte Truppenzeitung „The Landsberg Bavarian“. Das Buch zeigt weniger Johnny Cash als vielmehr Alltagsszenen aus der Nachkriegszeit in einer ländlichen Kleinstadt. Die Herausgeber begleiten die Fotos mit historisch einordnenden Texten. Ein Buch nicht nur für Cash-Fans. Wie gesagt, Balaena: Alles, nur kein Mainstream.

www.balaena.de

Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Saskia Pavek

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