Die weltbeste Kickboxerin ist 1,47 groß, wiegt 33 Kilo und geht in die fünfte Klasse der Realschule Biessenhofen, etwas südlich von Kaufbeuren. Sie bereitet sich gemeinsam mit Ibrahim Karakoc in dessen Landsberger Kickboxschule auf die nächste Weltmeisterschaft vor.
Es gibt einen sehr berührenden Moment in diesem Gespräch mit der elfjährigen Livia Rudi. Auf die Frage nach ihren Vorbildern nennt sie als erstes, als weibliches Vorbild, Dr. Christine Theiss. Verständlich – die Ärztin und Fernsehmoderatorin ist 23-fache Kickboxweltmeisterin. Ihr männliches Vorbild, schiebt Livia gleich hinterher, ist Ibrahim. Kurzer Blick nach links, schüchternes Lächeln.
Ibrahim Karakoc knufft mit seiner großen Faust in den kindlich-dünnen Oberarm, sie trainieren seit zweieinhalb Jahren gemeinsam, sie sind ein Team, er der Lehrer, sie die Schülerin, aber dass er ihr Vorbild sei, hört er offensichtlich das erste Mal. Er nennt Livia „meinen Champion“.
Und ein Champion ist sie in der Tat: Nicht nur eine, sondern gleich eine vierfache Weltmeisterin. Ihre Trophäen – die Medaillen, die Pokale und die berühmten großen Gürtel – liegen für alle sichtbar im Eingangsbereich von Karakocs Kickboxstudio im Gewerbegebiet im Landsberger Norden. Hier ist Livia mit ihren elf Jahren bereits ein Vorbild, oft trainiert sie als Ibrahims Ko-Trainerin bereits die Jüngeren mit.
Livia Rudi begann mit sechs Jahren zunächst mit Taekwondo und wechselte kurz darauf zum Kickboxen. Das sei härter, sagt sie, weniger Selbstverteidigung, weniger Formen, mehr Angriff. Ibrahim Karakoc, selbst mehrfacher Weltmeister, beschreibt es so: „Beim Kickboxen muss man Gespür für den Gegner entwickeln, nicht denken, der Körper muss automatisch reagieren, man muss den Menschen lesen lernen, bevor der Schlag kommt.“ Livia trainiert vier- bis fünfmal die Woche, in der Gruppe, aber Ibrahim fördert sie zudem intensiv im Einzelunterricht.
Was Livia heraushebt, wie er ihr Talent erkannt hat? „Es ist die Energie, die sie ausstrahlt,“ sagt er, „die Begeisterung, das ist neben dem sportlichen Talent das Wichtigste. Livia würde am liebsten mehrere Stunden hintereinander trainieren, manchmal muss ich sie regelrecht nach Hause schicken.“
Im November 2021 absolvierte Livia ihre erste Deutsche Meisterschaft, 2022 ging es dann im Juli erst in die USA (zur ISKA – US Open, dem größten Turnier weltweit), im November dann zur Weltmeisterschaft in die Türkei. Nach den Regeln des größten Weltverbandes ISKA (International Sport Kickboxing Association) dürfen erst 16-Jährige in den Ring, Kinder und Jugendliche kämpfen im Leichtkontakt auf einer quadratischen Matte.
Das Ergebnis für Livia: drei erste Plätze und ein dritter Platz. Finalkämpfe gehen in ihrer Altersgruppe über drei Runden à 1,5 Minuten mit jeweils einer Minute Pause dazwischen. Natürlich ist sie vor einem Kampf aufgeregt, aber alles in allem geht sie mit dem Druck erstaunlich souverän um. Sie kennt ihre Stärken genau: der rechte Punch und der rechte Roundkick.
In diesem Jahr startet die dann 12-Jährige in einer neuen Altersgruppe bis 14 Jahre. Das wird eine neue Herausforderung, für die Ibrahim und Livia sich jetzt vorbereiten.
Mutter Julia Rudi ist zuversichtlich: „Livia kann einstecken, das ist unglaublich. Das letzte Mal hat sie geweint, da war sie zwei Jahre alt. Und dann noch einmal, als ich ihr angedroht habe, mit dem Kickboxen aufhören zu müssen, wenn’s in der Schule nicht läuft.“
Text: Silke-Katinka Feltes | Fotos: Bertl-Magazin
Wer Livia kämpfen sehen will:
Im Oktober wird die diesjährige
Weltmeisterschaft in München ausgetragen.
Es gibt noch Karten.