Südkorea – das Land der Morgenstille, der asiatische Tigerstaat, der Hüter konfuzianischer Tradition, das Wirtschaftswunderland mit dem schwierigen Nachbarn im Norden.
Südkorea – das ist auch K-Pop, Gangnam-Style, LG und Samsung. Kennen wir alle.
Doch wer weiß schon, dass im Landkreis Landsberg eine aktive Gemeinschaft Koreanerinnen seit Jahrzehnten die Erinnerung an ihre ehemalige Heimat lebendig erhält.
Der Tag ihrer Ankunft in Deutschland im Januar 1974 am Flughafen Köln/Bonn. Jum-Soon Dorotik erinnert sich genau: Es war unendlich trist, kalt und grau. Mit neun weiteren Südkoreanerinnen kam sie zunächst in ein Krankenhaus im Taunus, Hessen. „So konnten wir zumindest zusammensitzen und weinen.“
Jum-Soon Dorotik ist vor knapp 50 Jahren nach Deutschland gekommen. Damals gab es ein Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit dem seinerzeit noch bitterarmen Südkorea. Es wurden in ganz Deutschland Krankenschwestern gesucht. Drei Jahre lang Geld verdienen. Dann wieder nach Hause gehen. So war der Plan.
Sie war 21, hatte die Ausbildung gerade abgeschlossen. Acht weitere Geschwister zuhause. Ihr Argument, um die Eltern zu überzeugen, sie gehen zu lassen: Dann müsst ihr meine Hochzeit nicht finanzieren.
Sie sagt: „Wie hatten ja keine Ahnung, es gab damals kein Fernsehen, ich wusste nichts übers Ausland und dass es hier kein Kimchi gab.“ Von Kimchi, dem wohl berühmtesten Export, dem zentralen Bestandteil südkoreanischer Küche, wird später noch die Rede sein. Drei Jahre. Vormittags Deutsch lernen, nachmittags Kranke versorgen. Sie lernt die Freiheit schätzen und ihren Mann kennen. Die koreanische Gesellschaft weist den Frauen sehr rigide umrissene Rollen zu. Individuelle Lebensweisen, Gefühle sind unwichtig. Was zählt, ist das konfuzianische Ideal einer strengen Ordnung, die ihrem Wesen nach hochmoralischer Natur ist: Anstand, Sittlichkeit, Untertanentreue und insgesamt ein patriarchalisch organisiertes Familien- und Gesellschaftswesen.
Obwohl Jum-Soon Dorotik oft Heimweh hat, weiß sie schon früh, Deutschland, das ist mein Land. Sie bleibt, gründet eine Familie und tritt, um ihr spirituelles Bedürfnis zu stillen – wie fast alle ausgereisten Koreanerinnen – zum Christentum über. In Korea ist Buddhismus die vorherrschende Religion. „Ich habe hier alles willig aufgesaugt, ich war neugierig, wollte alles wissen, also habe ich mich in der Kirche, im Bibelkreis, im Hospiz, in der Begleitung psychisch Kranker, überall ehrenamtlich engagiert.“
Seit 1990 lebt die Familie in Königsbrunn. Im dortigen Deutsch-Koreanischen Verein Augsburg ist Jum-Soon Dorotik zurzeit Vorsitzende, dazu Chorleiterin, Trommel- und Tanzlehrerin. Dazu muss man wissen: Traditionelle koreanische Musik und Tanz haben einen sehr speziellen, manchmal schrillen Klang und einen Rhythmus, der am besten mit polyrhythmisch beschrieben wird. In einer Gesellschaft, die so hohen Wert auf Distanz, Gesicht und Umgangsformen legt wie kaum eine zweite, kann so alle innere Kraft in die Musik gelegt werden.
Einen kleinen Eindruck bekommt man jedes Jahr im September, wenn der Verein mit Jum-Soon Dorotik und ihrem Chor – gekleidet in der typischen Landestracht – das wichtigste koreanische Fest Chuseok feiern, Erntedank. Neben allen künstlerischen Darbietungen gibt es natürlich – das ist für die Koreaner ganz wichtig – koreanisches Essen. Kimbap (die koreanische, vegane Variante des Sushi), Japchae (Glasnudelsalat), Bulgogi (ein Festtagseintopf) und natürlich Kimchi, den scharf einlegten und fermentierten Chinakohl.
Kimchi gibt es in vielen Variationen, Kimchi ist auch der Grund, davon sind alle Koreanerinnen felsenfest überzeugt, dass sie äußerst selten krank sind und so schöne Haut haben. Die Landsberger Koreanerinnen treffen sich mehrmals im Jahr, um gemeinsam und in großen Mengen Kimchi herzustellen. So gibt es immer ein Stückchen alte Heimat in der neuen Heimat.
Fürs Bertl konnten wir Jum-Soon Dorotik übrigens überzeugen, einige ihrer Lieblingsrezepte mit uns zu teilen.